Das Neckar-Open und die Schachfreunde

Andrej Baric und der Berichterstatter

Alle Jahre wieder kommt nicht nur der Osterhase, sondern auch das größte Schachturnier Deutschlands. Wo? In Berlin? In München? Im schachstarken Baden-Baden? Nein! In Deizisau am Neckar, einem gemütlichen schwäbischen Ort von gut sechseinhalbtausend Einwohnern. Zu verdanken ist dies dem großartig organisierten Team der Schachfreunde Deizisau unter der Leitung von Sven Noppes, die nun schon das sechzehnte Jahr in Folge das Internationale Neckar-Open erfolgreich auf die Beine stellen.

Mit 2012 und 2011 jeweils über 750 Teilnehmern ist das Turnier das größte seiner Art in Deutschland. Die Gemeindehalle und die nahegelegene Sporthalle füllen sich jährlich von Gründonnerstag bis Ostermontag mit Schachspielern aus der ganzen Welt und Freunden des königlichen Spiels aus der Region. Das Neckar-Open ist international bekannt und bei vielen Großmeistern beliebt, bleibt zugleich aber attraktiv für Hobby- und Vereinsspieler. Den Veranstaltern gelingt dies durch die Einteilung des Turniers in die nach Spielstärke getrennten A-, B- und C-Open.

In diesem Jahr traten die drei Freiberger Matthias Steinhart, Andrej Baric und Carsten Wübbens zum dritten Mal gemeinsam in Deizisau an. Dennoch war es eine Premiere, da zum ersten Mal alle drei im selben, nämlich dem B-Open, ihre Kräfte messen wollten. Wichtigster Mann in der Runde war aber jemand anderes: Holger Wübbens, seines Zeichens Vater des Berichterstatters, Freiberger „Papa”razzo auf der Siegerehrung und in eigenen Worten „Freund der Schachfreunde Freiberg”. Er spielte nämlich Chauffeur und steuerte die Freiberger Minimannschaft in seinem „Papa”mobil täglich nach Deizisau und zurück. Ohne diese große Tat, die uns jeden Morgen und jeden Abend je eine Stunde Zeitersparnis und maximierte Schlafphasen ermöglichte, wäre unsere Turnierleistung weniger lesenswert ausgefallen. Vielen Dank!

In dieser altbewährten Gruppe macht ein solches Turnier deutlich mehr Spaß als allein. So konnten wir völlig in die Atmosphäre des Turniers eintauchen. Wie bereits gewohnt, war es eine etwas unübersichtliche, aber zugleich angenehme, vertraute Stimmung. Zur Eröffnung des Turniers in der Sporthalle, in der auch das B-Open ausgetragen wurde, waren wir guter Dinge. Mit einem inneren Kribbeln fieberten wir den „Tagen des Wahnsinns” entgegen: am Donnerstagabend eine Runde, von Freitag bis Montag jeden Tag zwei Runden: eine morgens um 9 Uhr, eine nachmittags um 15 Uhr. Die Bedenkzeit pro Partie betrug zwei Stunden für 40 Züge und eine halbe Stunde für die restliche Partie. Da bleibt keine Zeit für andere Dinge als Schach.

Auftakt

Die erste Runde begann pünktlich und verlief für die Freiberger glimpflich – trotz des Fauxpas des Berichterstatters. Dieser hatte sich im Durcheinander der Auslosung in der Tabelle verguckt. Er hatte zwar gesehen, dass er direkt neben seinem blinden Vereinskameraden Matthias Steinhart spielen würde, aber hatte mit diesem die Plätze vertauscht. Matthias spielte gegen Carstens Gegner und Carsten gegen Matthias’ Kontrahenten. Da beide ein Remis erzielten, war dies aber nur halb so schlimm. Die nachsichtige Turnierleitung nahm das Ergebnis nach einer kleinen Schelte entgegen.

Für Andrej Baric lief es jedoch nicht gut. Er verlor die Partie gegen seine zehnjährige Gegnerin, die bereits mehr als 1700 DWZ-Punkte besaß. So kamen wir, weit nach Mitternacht, mit einem mittelmäßigen Auftakt zurück nach Freiberg.

Karfreitag, 6. April

Am Karfreitag um 9 Uhr ging es weiter. Kräftig übermüdet, aber pünktlich und kampfeslustig schlurften wir in die Halle ein und setzten uns an unsere Bretter – diesmal die richtigen! Nach dem Verklingen der Musik, die die Brettfindungsphase akustisch untermalt, fegten wir unsere Gegner von ebenjenen Brettern hinfort. Das Ergebnis: drei Punkte aus drei Partien der zweiten Runde. Der Turnierleitung sei dafür gedankt, dass sie bereits in dieser zweiten Runde einen Stammplatz für Matthias organisieren konnten.

Am Nachmittag setzten Matthias und Andrej ihren Lauf fort und gewannen erneut, während der Autor seinen Kampf gegen die Müdigkeit und seinen Kontrahenten verloren geben musste.

Samstag, 7. April

Am Samstagmorgen musste sich Andrej geschlagen geben. Matthias erspielte ein Remis in einer eigentlich gewonnenen Stellung. Carsten spielte recht eintönig, nämlich gar nicht. Sein Gegner war mit seiner Leistung so unzufrieden, dass er sich vom restlichen Turnier fernhielt und Carsten kampflos den Punkt überließ. Das brachte zwar eine schönere Bilanz, für die Auswertung der Spielstärke jedoch nichts.

In der fünften Runde tauschten wir unsere Ergebnisse. Matthias musste eine Niederlage hinnehmen, die laut eigener Aussage „völlig unnötig” gewesen war. Andrej siegte wie zuvor Carsten, jedoch nach einem schönen Kampf. Carsten nahm das Remis an, das sein Gegner durch Dauerschach erzwang. Seine Stellung war zunächst klirrend in die Brüche gegangen, durch mangelnden Angriffselan seines Gegners konnte er jedoch das Blatt wenden und führte mit einer Figur. Gegen das Dauerschach half diese aber nicht.

Das Punktekonto nach der fünften Runde führte folgende Posten auf: Matthias 3 Punkte, Andrej 3 Punkte, Carsten 3 Punkte.

Ostersonntag

Am Sonntagmorgen rackerten wir uns an unserer Durststrecke ab. Matthias verlor in leicht überlegener Stellung. Carsten kämpfte gegen einen starken Gegner (als ob wir je schwache gehabt hätten) und schaffte es bis ins Endspiel, wo er in Zeitnot sogar den feindlichen Angriff auf seine Königsstellung überstand und dank des gegnerischen Opfers materiell in Führung ging. Die knappe Zeit fraß diesen Vorteil jedoch auf: In der Abwicklung marschierte er mit dem König zielgenau in einen Spieß und verlor Turm und Partie. Lediglich Andrej konnte mit seinem klaren Remis unseren Durst (auf Punkte) ein wenig stillen.

Am Nachmittag setzte Andrej seine gute Turnierleistung (altdeutsch für Performance) erneut gekonnt in Szene und besiegte unerwartet und elegant seinen Gegner. Matthias kam zu der Erkenntnis, dass er doch noch Schachspielen kann, und einigte sich mit seinem jungen Gegner auf Remis. Carsten spielte eine wunderschöne Partie gegen eine stecken gebliebene Holländische Verteidigung und machte gehörigen Druck auf dem Damenflügel, verpennte dabei die Linienöffnung am Königsflügel und übersah das drohende, vielzügige, aber in seiner Form eher primitive Matt. Folglich gratulierte er kurz darauf seinem Gegner.

Montag, 9. April

Siegerehrung; links Andrej Baric

Und plötzlich war es Montag. Ja, es ist für uns drei immer wieder überraschend, wie schnell auf den Sonntag der Montag folgt. Sonntag? Es war doch gerade erst Donnerstag gewesen. Wer sich tagein, tagaus rund um die Uhr mit Schach zudröhnt, verliert sein Zeitgefühl. So mussten auch wir überrascht feststellen, dass der letzte Tag bevorstand und das Turnier seinem Ende entgegenging.

Der Montagmorgen verlief ähnlich wie der Sonntagabend. Carsten verlor genauso unnötig wie tags zuvor, aber immerhin zwei Stunden schneller. Andrej erkämpfte entgegen allen Erwartungen ein Remis gegen seinen überaus starken Gegenspieler. Matthias saß erneut einem sehr jungen Spieler gegenüber. Dieses Mal gönnte er ihm nichts und gewann. Der Zwischenstand nach acht von neun Runden sah so aus: Matthias 4½ Punkte, Andrej 5 Punkte und Carsten 3 Punkte.

Damit starteten wir ins Finale. Matthias wollte sein Turnierergebnis noch etwas verschönern. Carsten wollte endlich mal nicht durch eigene Leistung verlieren, sondern durch die des Gegners, oder noch besser: gar nicht. Für Andrej ging es hingegen um wirklich viel. Mit einer DWZ von unter 1400 hatte er Chancen auf zwei Sonderpreise: zum einen auf den Preis für den größten DWZ-Gewinn, zum anderen auf den Preis für den besten Spieler mit einer Turnierwertungszahl von unter 1550.

Unterm Strich lässt sich über die letzte Runde sagen: Joa. Ziel erreicht. Matthias und Carsten holten beide ein Remis, verschönerten so ihr Endergebnis und vergewisserten sich ihrer schachlichen Fähigkeiten. Andrej verlor seine letzte Partie aufgrund eines Bauernverlustes und schwacher Position, konnte aber nicht wirklich klagen. Der Endstand lautete: Matthias 5 Punkte, Andrej 5 Punkte, Carsten 3½ Punkte.

Wir blieben natürlich zur Siegerehrung, denn mit fünf Punkten hatte Andrej in den ersten acht Runden gut vorgesorgt. Die Siegerehrung in der Gemeindehalle machte ihrem Namen alle Ehre. Internationale, junge und große Meister aus Deutschland und der Welt wurden auf die Bühne hinaufapplaudiert, geehrt und mit Preisgeldern ausgestattet. Durch die vielen Sonderpreise im C-, B- und A-Open zog es sich zwar etwas hin, war aber dennoch ein stimmungsvoller, lautstarker und applausgesättigter Abschluss, des größten Schachturniers Deutschlands würdig. Bedeutsamstes Ereignis des Abends war selbstverständlich, dass Andrej Baric in beiden Kategorien den ersten Platz belegte, der Fairness halber aber nur einen der Preise erhielt. Es handelte sich dabei um das Preisgeld für die Kategorie größter DWZ-Gewinn, die Andrej mit einem Zuwachs von gut 200 Punkten klar für sich entschied.

Das 16. Internationale Neckar-Open gewonnen hat übrigens Andrei Istratescu, französischer Großmeister mit einer Elo-Wertung jenseits von 2600.

Der wahre Gewinner für uns ist und bleibt aber Andrej Baric aus Freiberg am Neckar. Nächstes Jahr kehren wir sicherlich an den Ort unseres Triumphes zurück; dann vielleicht mit mehr Mitstreitern aus den Reihen der Vereinsjugend.

Bericht: Carsten Wübbens
Fotos: Holger Wübbens